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Kagami Biraki – online zu Gast in Haßloch

In Japan begeht man heute zum 11.01. das Fest des kagami biraki. Wörtlich übersetzt bedeutet dies so viel wie „das Öffnen des Spiegels“. Gefeiert wird es mit dem Brechen der als kagami biraki bezeichneten Mochi Reisbällchen.

In den traditionellen Budo Künsten in Japan wird diese Zeremonie auch zum ersten Training im Jahr durchgeführt und das Training entsprechend des Rituals benannt. Bei dem Transfer in westlichere Gesellschaften fällt die Zeremonie weg, doch die Bezeichnung für das erste Training im Jahr bleibt.

Dieses Jahr konnte „kagami baraki“ aufgrund des republikweiten Lockdowns „nur“ online stattfinden, was eine große Teilnehmerzahl ermöglichte. Diese musste sich bei vorhandener Internetverbindung nicht einmal aus dem Haus bewegen. Der Leser bemerkt: ich bemühe mich positiv ins Neue Jahr zu blicken.

Bernd und Yvonne aus Haßloch luden ein und wer könnte in Zeiten ständig ausfallender Karate Lehrgänge da widerstehen? Wie sich herausstellte, einige Karateka unseres Dojos nicht. Namentlich: Frank, David, Sascha sensei und ich. Für mich war bereits der ambitionierte Plan des Trainings eine sportliche und psychische Herausforderung. Wer mich kennt, weiß, diesen kann ich meist nicht widerstehen.

Willensschulung (3000 tsuki, 3000 uke undo) stand für den ersten Teil auf dem Plan. Der zweite wurde unter „Schlagen und Treten“ beworben. Während der letzte Teil, für mich etwas humoristisch, mit „Ausdauer und Kondition“ überschrieben wurde. Ich denke, alle Teilnehmer sind sich rückblickend einig, dass es bereits ein erhebliches Maß an Willenskraft und Ausdauer erforderte die beiden ersten Teile zu überstehen. „Ausdauer und Kondition“ konnten dann auch erst nach den veranschlagten 4 Stunden beginnen. Wohl mit Rücksicht auf die privaten Pläne (das Training sollte an einem Samstag stattfinden) sowie den Fitnessgrad und den Willen der Teilnehmer wurde angekündigt, dass man auch nur für einen Teil des Trainings online erscheinen kann. So kam es wohl auch, dass viele, vor allem Einsteiger, der Einladung folgten. Immerhin blieben am Ende von einem Dutzend Teilnehmern noch vier übrig. Nur diese kamen noch in den Genuss von Kraftübungen, wie: sit ups, burpees, side plank und lunges mit mae geri.

Im Verlauf dieses Training bemerkte ich bei mir eine Veränderung der Zeitwahrnehmung, die ich sonst nicht in diesem Ausmaß kannte. Wollte die Zeit zu Beginn der tsuki waza gar nicht vergehen, sondern dehnte sie sich sogar bei der uke waza zum Teil noch weiter aus – was sicher den einschlafenden Füßen und der allgemeinen Schwäche meiner Knie geschuldet war –  so zog sie sich, nach ca. zwei Stunden eng zusammen und die Kombinationen von Schlägen und Tritten des zweiten Teils vergingen, wie auch das Kraftausdauertraining, wie im Flug. Die letzten 2,5 Stunden vergingen also wesentlich schneller als die ersten 2. Ein ähnliches Flow-erleben kannte ich sonst nur vom Laufen oder den vergangenen kagami biraki, aber noch nie hatte ich es über diese Dauer. Danach war ich sicher, dass sich die Teilnahme absolut gelohnt hat.

Es war schön wieder einmal andere Karateka sehen zu können und ich bin sehr dankbar für die Organisation und Anleitung durch Yvonne und Bernd. Zwar verbrachte ich die Folgenden 30 Stunden in einem Zustand, der nur mit sanften Yoga Übungen und Ibuprofen zu ertragen war, aber manche Erlebnisse zu Beginn eines neuen Jahres bereut man trotz der darauffolgenden Übelkeit und Kopfschmerzen nie.  Dieses kagami biraki gehört für mich dazu und wird wohl von keinem der Teilnehmer so schnell wieder vergessen werden.

Tom Waschesczio

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